Ballistische Balladen

Katapultartige Teambildung 

Neulich war ich dabei, als es um zukunftsorientierte Teambildung ging. Ein großes Hotel. Freigeräumter Ballsaal. Jahrestreffen einer Dienstleistungsfirma mit zahlreichen Filialen. Über hundert Mitarbeiter waren gekommen. Die wurden nun eingeteilt – Sie kennen so etwas? – in 14 Gruppen à 8 Personen. Und dann die Aufgabe: Bauen Sie binnen einer Stunde ein Katapult, das von einer Person alleine bedient werden kann, und machen Sie sich bereit für den Wettbewerb im Weit- und Zielschießen.

So geht es zu im teamorientierten Deutschland. Konstruktive Zusammenarbeit ist gefragt, Spaß und Phantasie, Sachkompetenz und Zielstrebigkeit. Da müssen Teams über Seile balancieren, sie müssen sich mit verbundenen Augen durch unbekannte Landschaften vorantasten. Hier wird gemeinsam gepaddelt und gerudert, dort heißt es Feuer machen in der Natur – und barfuß über glühende Kohlen laufen. In unserem Fall (wohl temperierte Hotelhalle, Schuhe an, Getränke frei) sieht das Setting folgendermaßen aus: Jede Gruppe bekommt einen Tisch zugewiesen. Darauf finden sich Holzstöcke, Gummiringe, ein stabiles Brett, Klebeband, ein Fahrradschlauch, einige Filzstifte, zwei Plastik-Eier sowie drei Schokoladentaler. Man kann mit den Talern in den Baumarkt gehen (Nebenraum) und dort weitere Utensilien einkaufen. Man kann außerdem (weiterer Nebenraum) eine Spielbank aufsuchen und dort zusätzliche Schokoladentaler erpokern, um dann wiederum im Baumarkt weitere Eier zu erwerben. Also: Wer macht was? Wie findet sich die Gruppe zusammen? Wer führt Protokoll über den Teambildungsprozess? Technischer Hinweis: In der Mitte des Ballsaals findet sich ein Tisch mit Stichsäge und Bohrmaschine. Und los geht’s: die Uhr läuft!

 

Klar, wir alle wissen um das tägliche Gezänk und um die Stellungskriege, um die vergeblichen Anläufe und das dumpfe Aussitzen im Arbeitsalltag. Aber wir wissen auch, dass gerade in Zeiten verschärften globalen Wettbewerbs in unseren Breiten nur noch produktive Teams erfolgreich sein werden. Aber was sind produktive Teams? Wodurch zeichnen sie sich aus? Was müssen sie können? Was sollten sie lernen? Worauf dürfen sie stolz sein? Schauen wir zu: In unserer Hotelhalle entfaltet sich gerade bei steigendem Lärmpegel die Vielfalt menschlicher Arbeitskulturen. Die ersten Bohrmaschinen surren. Aber wie kann das sein? Wie kann eine frisch zusammengewürfelte Gruppe so schnell ihren Produktiv-Modus gefunden haben. Woher wissen die binnen einer Minute, wo die Löcher zu setzen sind, um per Katapult Plastik-Eier durch den Raum zu schleudern? Oder hat einer kurzerhand die Befehlsgewalt an sich gerissen? Unsere Gruppe zum Beispiel ist noch eifrig nachdenkend mit der Kernfrage befasst, was denn überhaupt ein Katapult sei. Man muss doch einen Plan haben, bevor es ans Bohren geht.

 

Typologien werden deutlich. Da ist die„rote“ Gruppe. Sehr teamorientiert. Wichtig sind der Spaß und das gute Einvernehmen. Es wird viel gelacht. Die Gruppe kommt in Fahrt. „We are family“, vermitteln sie. Und man wäre gerne dabei. Am Nachbartisch herrscht eifriges „grün“ vor. Da wird gemessen und berechnet. Wurfwinkel und Schwingfaktor. Längst haben die Emissäre dieser Gruppe auch im Baumarkt weitere Materialien eingekauft. Man muss schließlich genau wissen, welche Einzelteile zur Verfügung stehen. Dort drüben wiederum erkennt man das vorherrschende „gelb“. Eine Ansammlung kreativer Querköpfe. Würde ein Plastik-Ei eventuell schneller fliegen, wenn man es mit kleinen Nägeln voll stopft? Oder entscheidet am Ende das ausgefallene Design des Wurfgeräts über den Sieg? Nein, noch anders: Wir binden den Fahrradschlauch an die roten Gummiringe. Das ergibt eine Turbospannung – und damit sensationelle Schleuderweiten. Bei den „blauen“ wiederum zeichnet sich langsam eine klare Strategie ab. Die Wurfspannung entsteht durch eine Hebelwirkung. Man braucht also einen stabilen Hochpunkt. Und der Wurfarm darf nicht im Lot stehen, er muss vielmehr winkelförmig angebracht werden. Damit ist die Sache klar. Diesen Plan muss man jetzt nur noch irgendwie technisch umsetzen. Der Emissär aus dem Baumarkt ist zurück: „Da ist ja schon alles weggekauft“, berichtet er voller Sorge.

 

Gong. Die Zeit ist um. Fieberhaft werden letzte Arbeiten abgeschlossen. „Halt mal schnell!“ – „Hier: Klebeband!“ – „Probeschuss!“ Dann werden die einzelnen Gruppen auf die Bühne gebeten. Und in der Tat wird eine überraschende Vielfalt an Problemlösungen sichtbar. Die Palette reicht von sauber ausgearbeiteten  Wurfapparaten bis zu banal aufgesteckten Schwingstöcken. Aber die eigentliche Überraschung folgt nun beim Wurf-Wettbewerb. Denn da bricht plötzlich beim edlen Katapult schon beim ersten Versuch der Wurfarm ab. Und der armselige Schwingstengel schleudert das Plastik-Ei unglaublich weit durch die Hotelhalle.

 

Das Gerät muss – so lautete die Vorgabe – von einer Person alleine zu bedienen sein. Auch hier folgt Vielfalt pur. Bei einer Gruppe muss sich der Werfer dazu auf den Boden legen, das „Katapult“ mit den Fersen am Boden halten und sich dann mit angespannten Bauchmuskeln zurücklehnen. Das bringt beim (weiblichen) Publikum Sonderapplaus. Oder dann die Gruppe mit der guten Stimmung: Auch hier vermittelt sich eine atmosphärische Schlagkraft, die durchaus überzeugt. Das fliegende Ei allerdings floppt. Zu hoch war der Wurfwinkel. Nanu: die nächste Gruppe hat insgesamt 8 Eier zusammen gepokert. Dadurch ergeben sich jetzt erstaunliche Chancen. Und tatsächlich: Im Einkauf liegt der Erfolg. Oder im Verkauf?

 

Wir sind dran. Unser Gerät überzeugt durch bauliche Klarheit. Durch einen Unterzug am Hochbalken ist es in letzter Minuten gelungen, beispielhafte Stabilität in das Katapult zu bringen. Aber wir haben den falschen Wurfarm gewählt. Ein Holzstäbchen statt der Bambusstange. Die wäre sogar noch verfügbar gewesen. Aber dann ging auf einmal alles so schnell... Im Baumarkt waren wir zu spät und in der Spielbank haben wir nichts gewonnen, müssen also mit zwei Basis-Eiern den Sieg erkämpfen.

 

Keine optimale Ausgangslage. Aber nun tritt unser Gruppen-Sprecher auf die Bühne. Souverän trägt er vor, für welche bauliche Konstruktion wir uns entschieden haben. Dann berichtet er von großartiger Zusammenarbeit, von Effizienz und Zielstrebigkeit bei der Umsetzung, von sehr angenehmer und produktiver Arbeitsatmosphäre. Und er endet mit dem großartigen Satz: „Und deshalb sind wir sicher, dass wir heute den Sieg erringen werden!“ Sagt es. Strahlt ins Publikum. Und lässt den hölzernen Wurfarm schnippen. Das Weitwurfei schafft es bis zur Hälfte der Hotelhalle. Das Zielwurfei – immerhin – landet akkurat im Auffangkorb. Und – Blitz! – hat der Fotograf diese Szene im Kasten.

 

Was lernen wir aus diesen ballistischen Balladen? Zum einen: Praktisches Teambuilding macht Spaß und ist allemal besser als dröge Vorträge. Was lernen wir noch? Jede Typologie, jede Farbe, hat ihre Schwächen. Hier wird zu lange gedacht, dort wird zu früh gemacht. Aber jede Farbe kann auf ihre Weise zum Erfolg beitragen. Und diejenigen Teams haben es gut, die sich mit jeder Farbe auskennen, die sich eine bunte Mischung an Arbeitskulturen zutrauen. Und die das kommunikativ hinkriegen. Also Planen und Machen, dabei Offenheit für Neues und Verrücktes, und insgesamt freundlich und fair miteinander umgehen. Verdammt schwierig! Wir sind erst am Anfang der zukunftsorientiertenTeambildung. Mit einfachem Zusammenwürfeln der Leute ist es nicht getan. Und mit smartem Verkaufen allein – siehe abstürzende Flugeier – auch nicht. 

 

Achim Kühne-Henrichs