Schantelmanns Tschörni

Die Deutsche Bahn hat sich zum Ziel gesetzt, ein moderner serviceorientierter Mobilitätsdienstleister zu sein. Da gehört es zum guten Ton, dass die Fahrgäste auch auf englisch begrüßt werden.

 

 „On behalf of Deutsche Bahn I welcome all new passengers”, hören wir den Zugchef über Bordmikrophon. Und er umfängt uns mit einer souveränen Weltläufigkeit: „We wish you a pleasant journey.”

 

Soweit das Konzept. Der Zugchef persönlich am Mikro. Auf deutsch und englisch. International, global, personal.

Warum werden nicht automatische Ansagen eingespielt? Weil die Deutsche Bahn ins 21. Jahrhundert gestartet ist. Und da sollen die Mitarbeiter nun mal mitkommen. Persönlich. Kommunikativ. Fremdsprachlich. Zum Nutzen der Gäste Deutschlands. Und zur Förderung unseres Images in der Welt.

Also alle zum Training. Rollenspiele, Sprechspiele, Sprachspiele. Der Gedanke ist ja an sich richtig. Englisch ist die gültige Weltsprache eben auch in Deutschland. Und so schwer werden die wenigen Satzbausteine ja nicht sein, die man zur Begrüßung der Fahrgäste benötigt.

Eher die Aussprache. „Wellkam on Bord of se Aissi-i from Berlin to Fränkfurt waia Wolfsburg änt Göttingen.” Immerhin. Verstanden haben wir’s. Und wir werden ja auch direkt und persönlich angesprochen, Station für Station: Mal heißen wir Schantelmann, dann Tschentelmenn oder Dschäntelmän. Und stets wird uns im mobilen ICE-Sprachlabor eine gute Reise gewünscht, mal als pläsent Schornä, dann als Tschörni, Schurni, Jörney oder Jorneh.

Seien wir nicht kleinlich oder gar arrogant. Es ist eine enorme Aufgabe und ein authentisches Aufbruchsignal ins 21. Jahrhundert des Wissens und der Bildung, wenn Leute heute freundliches Begrüßungs-Englisch sprechen lernen, deren Job noch bis vor wenigen Jahren darin bestand, auf mürrisch-deutsch Fahrkarten zu kontrollieren.

Und Englisch lernen ist zum Glück nicht so schwer. Allerdings haben die Original-Engländer so ein feines Sprachgefühl für Zeiten.

In Kürze kommt unser Zug am nächsten Bahnhof an. Wie könnte man das am besten ausdrücken? „Ladies and Gentlemen“, hören wir den Zugchef formvollendet zu uns sprechen, „in a few minutes we will be arriving at Berlin Central Station.“ Wahnsinn, oder?

“We will be arriving at.” Das ist grammatikalisches future progressive. Und das heißt: Wenn alles so weiter geht wie geplant, dann werden wir gleich ankommend sein. Also: nicht etwa angekommen sein. Das hieße „we are now arriving“. Und das gelte nur im unmittelbaren Augenblick des Einfahrens in den Bahnhof, sagt der Englisch-Lektor eines namhaften deutschen Schulbuchverlages, dem wir in solchen zeitgeschichtlichen Fragen vertrauen dürfen.

Wir lernen: Man kann nicht einfach sagen We arrive. So im Sinne von: Wir kommen jetzt an. We arrive, sagt der Schulbuchlektor, bedeutet: so steht es im Fahrplan. At 12 o clock the trains arrives at Berlin Central Station. Normalerweise. Laut Kursbuch.

Eine solche planmäßige Ansage könnte natürlich problemlos von einem Sprachautomaten übernommen werden. Aber so festgelegt und berechenbar ist das Bahnreisen nicht. Denn wer weiß, was in den nächsten Minuten noch alles passieren kann. Deshalb gilt: We will be arriving at. Future progressive.

Mit diesen echt schweren Englisch-Brocken müssen sie sich nun Tag für Tag abkämpfen, unsere Zugchefs. Stunde um Stunde. Station für Station. Da behilft sich der eine oder andere schon mal und verschluckt das „be“. „We will arriving at.” Und mancher kürzt vorsichtshalber auch das „will“ weg. „We arriving.“

Aufgrund einer Störung im Betriebsablauf wird auf einmal die Zeit knapp. Also schnell noch angesagt: „In a few minutes we arrived Berlin.“ Ein Zugchef-Kollege schiebt in ähnlich verfahrener Lage pflichtgemäß nach: „Thank you for travelling to Deutsche Bahn.“

Wer heute mit Tempo 250 in Deutschland unterwegs ist, wird Zeitzeuge einer großen Herausforderung. Wir alle sind auf dem Weg zum lebenslangen Lernen in einer immer schneller sich drehenden Welt. Aber zum Lernen braucht Deutschland Zeit. Und wir müssen beim Lernen Fehler machen dürfen. Denn nicht alle sind mit progressivem Futur auf die Welt gekommen. Aber alle sollen einsteigen dürfen, bevor sich die Türen schließen. Niemand soll zurückbleiben, bitte.

Also erkennen wir, worauf es wirklich ankommt beim Ankommen in der Zukunft. Letztens war es spät abends. Und irgendwie konnten wir Fahrgäste es im Grunde sehr gut verstehen. Da sagt der Zugchef nach einem langen Tag im überfüllten Hochgeschwindigkeitszug mit letzter Kraft, aber höflich und zugewandt: „Ladies and Gentlemen: in a few minutes – Berlin.“

 

Achim Kühne-Henrichs